Bischof Dzyurakh gibt ein Interview für DOMRADIO.DE zur Situation in der Ukraine

10.02.2022
Ukrainischer Bischof fordert Unterstützung von Deutschland

„Es ist eine Verpflichtung“
Die Ukraine fürchtet eine russische Invasion. Der ukrainische Auslandsbischof Bohdan Dzyurakh wünscht sich ein stärkeres Engagement von Deutschland in einer Lage, die auch die ökumenischen Beziehungen in seiner Heimat belaste.

DOMRADIO.DE: Die ganze Welt blickt besorgt auf die Ukraine. Wie ist die Lage in Ihrer Heimat im Moment?

271931536_233199455649709_1411008913957307845_nBischof Bohdan Dzyurakh (Apostolischer Exarch für die ukrainischen griechisch-katholischen Christen in Deutschland und Skandinavien): Ich habe vor kurzem mit unserem Kirchenoberhaupt, Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk gesprochen. Er hat mir mitgeteilt, dass die Lage sehr ernst ist. Die Menschen sind sehr angespannt und leben in ständiger Gefahr einer neuen Eskalation des Krieges von Russland gegen die Ukraine. Man befürchtet einen offenen Angriff auf die Ukraine. Dabei sagen wir ausdrücklich, dass es nicht um den Beginn eines Krieges geht. Seit fast acht Jahren führt Russland Krieg gegen unser Land, einen sogenannten hybriden Krieg. Also ein Krieg ohne Kriegserklärung. Unser Land wurde bereits im Februar 2014 angegriffen, als die Halbinsel Krim annektiert wurde. Es folgte die militärische Invasion im Osten des Landes. Jetzt spitzt sich die Lage dramatisch zu und wir befürchten das Schlimmste. Wir beten, dass Gott uns davor bewahrt.

DOMRADIO.DE: Sie haben es gesagt, die Auseinandersetzungen gibt es schon seit 2014. Haben sich die Menschen daran gewöhnt? Wie geht man um mit der ständigen Bedrohungslage?

Dzyurakh: Es ist schwierig, sich an solch einen unnormalen Zustand zu gewöhnen. Den Leuten ist der Ernst der Lage bewusst. Aber die Angst lähmt uns nicht. Den Menschen ist bewusst, dass wir für unsere eigene Freiheit und unsere eigene Würde selbst kämpfen müssen und sie verteidigen müssen. Deswegen bereiten sich auch die Einwohner unserer Hauptstadt Kiew auf eine mögliche dramatische Situation vor, auf die Verteidigung der Hauptstadt. Auch im Osten wird mobilisiert. Wir versuchen auch, Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zu gewinnen. Alleine werden wir das nicht schaffen, uns zu verteidigen.

DOMRADIO.DE: In der Beziehung gibt es von ukrainischer Seite auch Kritik an Deutschland, keine Waffen zu liefern und dem Land damit nicht genügend zur Seite zu stehen. Wünschen Sie sich mehr Engagement von der deutschen Regierung?

Dzyurakh: Natürlich gibt es unterschiedlichen Bedarf und wir sind in der aktuellen Notlage für jede Hilfe dankbar. Diese Hilfe muss aber auch angemessen sein, einerseits der Gefahrenlage, aber auch der Möglichkeiten, die ein Land zu helfen hat. Vielleicht erwartet die Ukraine mehr von Deutschland, weil sie das Land als wichtige Kraft in Europa und der ganzen Weltpolitik betrachten.

Andererseits verstehen wir auch, und erinnern daran, dass die Ukrainer im Zweiten Weltkrieg viel gelitten haben. Millionen Ukrainer haben ihr Leben verloren. Es ist eine Verpflichtung aller Länder, solch ein Leiden zu verhindern. Der Krieg in der Ukraine dauert nun schon länger an als der Zweite Weltkrieg. Das Drama dieses europäischen Volkes, das nach einem besseren, würdigeren Leben strebt, wird in den westlichen Medien sehr oft verschwiegen und vergessen. Oder noch schlimmer: Aggressor und Opfer werden auf der gleichen Ebene betrachtet. Das schafft nur noch größeres Leid und größeren Schaden. Es ist nicht wahr, dass sich ein Teil unseres Landes abspalten will. Diese Stimmung gab es nie in unserem Land, auch im Osten nicht, auch nicht auf der Krim. 1991 haben wir mit einer Mehrheit von 91% für die Unabhängigkeit von Russland gestimmt. Es geht also nicht um einen internen Bürgerkrieg sondern um eine Invasion von außen. Das muss man auch so beim Namen nennen. Leider hat man im Westen fast acht Jahre gebraucht, um das zu tun. Ich hoffe es dauert keine weiteren acht Jahre, bis dieser Konflikt beendet ist.

DOMRADIO.DE: Welche Auswirkungen hat der Konflikt auf die Kirchen im Land? Sie sprechen für die griechisch-katholischen Ukrainer, die meisten Christen gehören ja der russisch-orthodoxen Kirche an, deren Patriarchat in Moskau sehr eng mit Putin verbunden ist?

Dzyurakh: Die Gläubigen der russisch-orthodoxen Kirche sind ja doch in erster Linie auch Ukrainer. Allerdings haben auch viele Anhänger des Moskauer Patriarchats diese Kirche nach Beginn des Krieges verlassen. Für viele war es unbegreiflich, dass ihr Kirchenoberhaupt im Land des Aggressors sitzt. Aber auch diejenigen, die bleiben, sind unsere Mitbrüder und Mitschwestern. Sie leiden genauso unter den Folgen des Krieges, vielleicht sogar noch mehr. Putin stellt sich im Westen dar als Verteidiger der christlichen Werte, aber gleichzeitig töten er und seine Soldaten orthodoxe Christen in der Ukraine. Auch die Mehrheit der Soldaten, die unsere Heimat verteidigen, sind orthodox. Auch sie brauchen Seelsorge. Vor kurzem wurde zum Beispiel ein Gesetz zur Militärseelsorge im ukrainischen Parlament beraten, an der sich alle Konfessionen beteiligen außer der russisch-orthodoxen Kirche. Wir griechisch-katholischen, die römisch-katholischen, die protestantische Kirche und auch die nun autokephalen Christen der Ukraine, wir alle haben unsere Kapläne in der Armee und begleiten sowohl die Soldaten als auch die Zivilbevölkerung in der Kriegsregion.

DOMRADIO.DE: Was geben Sie den Menschen hier in Deutschland mit als Botschaft?

Dzyurakh: Wir bitten Sie um Ihr Gebet und Ihre Solidarität – aber auch darum, Zeugen der Wahrheit zu sein. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit. Es wird sehr viel Propaganda verbreitet, nicht nur in Russland, auch im Westen. Wenn Sie wirklich die Wahrheit wissen wollen, sprechen Sie direkt mit den Christen vor Ort. Wir werden Ihnen gerne ein Bild der Lage schildern. Wichtig ist, nicht gleichgültig zu bleiben. Gleichgültigkeit tötet nicht weniger als konventionelle Waffen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle: DOMRADIO.DE