«Mit brennender Sorge!» Ansprache von Bischof Bohdan Dzyurakh während des Gebets für den Frieden in der Ukraine auf der Münchner Sicherheitskonferenz

„Mit brennender Sorge wende ich mich an Sie “ – Bischof Bohdan Dzyurakh, Apostolischer Exarch für die Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien, zitierte die Worte des Papstes Pius XI., mit denen der Heilige Vater im Jahr 1937 versuchte, die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs zu verhindern, die damals Europa und der Welt drohte.

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Gebet für den Frieden in der Ukraine

(München, den 18. Februar 2022. Sicherheitskonferenz)

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Mit brennender Sorge wende ich mich an Sie im Angesicht von großem Unrecht und Gewalt, die meinem Volk in der Ukraine seit Jahren angetan werden und jetzt auf einer höheren Eskalationsstufe aufs Neue Millionen von Unschuldigen auf dem gesamten Kontinent bedrohen.
Gestern früh hat mich eins sms aus einem Dorf im Osten der Ukraine erreicht, das 6 Kilometer von der Pufferzone entfernt liegt. Seit 2016 stehe ich in ständigem Kontakt mit der lokalen Schule, die von ca. 50 Kindern und Jugendlichen besucht wird. Eine mir bekannte Lehrerin schrieb mir: „Exzellenz, bitte beten Sie für uns! Seit 5 Uhr morgens wurde unsere Gegend mit schweren Waffen beschossen. Wir sind in die Schule gekommen und es hat erneut begonnen. Die Kinder haben wir in die erste Etage gebracht, wo es keine Fenster gibt; eine Stunde lang sind wir dort geblieben, dann kamen die Eltern und haben die Kinder nach Hause geholt. Was weiter passieren wird, ist ungewiss. Wir glauben, dass es sich beruhigen wird, Gott wird uns retten! Danke!“

Der Krieg ist da. Er ist mitten in Europa. Er ist im Leben dieser Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die sich nach einem besseren und würdigen Leben sehnen, stattdessen aber in Angst und ständiger Lebensgefahr leben müssen. Heute sind wir hierhergekommen, um diesen Menschen, unseren Landesleuten, die im Kriegsgebiet leben und sich in dem von Russland besetzten Teil der Ukraine (etwa 7% unseres Staatsgebiets) befinden, zur Seite zu stehen und ihnen unseren Beistand sowie unsere Solidarität zu zeigen. Wir beten für sie, damit der Gott des Friedens und der Liebe ihnen Seine Barmherzigkeit erweist, ihnen Seine Gnade schenkt und sie aus ihrer Bedrängnis befreit.

Wir beten auch für diejenigen, die direkt betroffen sind von diesem Krieg, der bereits länger dauert als der Zweite Weltkrieg. Die in diesem Krieg gefallenen Soldaten und Zivilisten – es sind inzwischen bereits über 14.000  können wir leider nicht mehr zum Leben erwecken. Den über 30.000 Schwerverletzten und den mehr als 400.000 Menschen, die an posttraumatischen Störungen leiden, können wir ihre Gesundheit nicht mehr vollständig zurückgeben. Die meisten von ihnen werden lebenslang mit ihren Wunden und Traumata leben müssen. Auch können wir nicht den über 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen ein Zuhause geben, in dem sie Geborgenheit und Schutz finden können. Aber wir können und wollen ihr Leid, ihren Schmerz und auch ihre Hoffnungen vor Gott bringen und Gottes heilende Gnade auf sie alle herabrufen.

Wir wollen heute auch für diejenigen beten, die diesen Krieg verursacht haben und in ihren verdunkelten Seelen Pläne für neue Übeltaten schmieden. Gottes Gnade berührt die härtesten Herzen. Möge der Allmächtige die Herzen der Gewalttäter berühren und bekehren! So beten wir heute „für die Verfolger und Bedränger: Der Vater allen Lichtes und aller Erbarmung möge ihnen eine Damaskusstunde der Erkenntnis schenken, für sich und alle die vielen, die mit ihnen geirrt haben und irren“ (Pius XI, Mit brennender Sorge, 52).

Wir wollen aber auch für uns selbst beten, damit wir nicht durch unser Schweigen und unsere Gleichgültigkeit zu Komplizen des Verbrechens oder zu gleichgültigen Zeugen des Unrechts werden, sondern als echte Friedensstifter im Geiste Jesu wirken und nach unseren Möglichkeiten zum Frieden in der Ukraine und somit in ganz Europa beitragen. Während der Revolution der Würde im Winter 2014, als Hunderttausende Menschen für ihre Rechte, für die Wahrheit und Gerechtigkeit aufgestanden waren, konnte man an den Häusern der ukrainischen Hauptstadt oft den Satz lesen: „Gleichgültigkeit tötet“. Ja, sie tötet vor allem etwas ganz Menschliches in unseren eigenen Herzen: die Fähigkeit zum Mitleid, zum Mitgefühl und zur Solidarität mit den Betroffenen und Angegriffenen. Aber danach tötet sie auch ganz konkrete Menschen, die der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind und in ihren Prüfungen vergessen und verlassen sind.

Durch Ihr Kommen und Ihr Mitbeten hier an diesem heiligen Ort haben Sie heute Ihre Menschlichkeit und christliche Solidarität mit den Schwestern und Brüdern in der Ukraine zum Ausdruck gebracht. Aus der Ukraine erhalte ich nicht nur Bitten um mein Gebet, sondern auch die Bitte, Danke zu sagen all denen, die an die leidenden Menschen in der Ukraine denken und für sie beten. Dies mache ich auch gerne an dieser Stelle und sage Ihnen allen aus tiefster Seele „Vergelt´s Gott!“.

Maria, Königin des Friedens, gewähre uns allen Gottes Frieden, Heil und Segen!

+ Bohdan Dzyurakh,
Apostolischer Exarch