„Inmitten des großen Leids meines Volkes wird ein neues Europa geboren“, – bischof Bohdan Dzyurakh
03.03.2022
Die Ansprache
des Apostolischen Exarchen für die Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien Bischof Dr. Bohdan Dzyurakh, während der Andacht für den Frieden in der Ukraine
(02.03.2022, Ulrichsbasilika, Augsburg)
Exzellenzen, liebe Mitbrüder im bischöflichen und priesterlichen Dienst,
Liebe Gottgeweihte Personen,
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Schwestern und Brüder in Christus!
In diesen Tagen, in denen sich die Christen auf den Weg der Buße und der Umkehr begeben, wurde inmitten Europas der Krieg in meinem Heimatsland aufs Neue auf brutalste Weise angefacht. Ich sage „aufs Neue“, weil die Ukraine bereits im Februar 2014 von Russland überfallen wurde, als die Halbinsel Krim gesetzwidrig annektiert wurde und ein paar Monate später ein offener Angriff im Osten des Landes begann.
Während der vergangenen 8 Jahre hat die Ukraine infolge der militärischen Auseinandersetzungen, die praktisch jeden Tag geführt wurden, schwere Schäden an der Wirtschaft, der Umwelt, aber vor allem am Leib und der Seele der Menschen erlitten: Die Zahl der Opfer belief sich bereits vor einer Woche auf über 14.000 Ukrainer, die ihr Leben verloren haben; es gab über 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge und über 30.000 Schwerverletzte; etwa 400.000 litten infolge der erlebten Schrecken und Grausamkeiten unter posttraumatischen Störungen.
Dann brach ein Albtraum über uns herein, an den man noch vor einer Woche nicht glauben wollte. Heute, am Aschermittwoch, wo wir mit einem Kreuz aus Asche gezeichnet werden, wurden mehrere Dörfer und Städte der Ukraine mit russischen Waffen bombardiert und in Schutt und Asche gelegt. Auf diese Weise will der Herrscher des Kremls unseren Traum von einer besseren und würdigeren Zukunft durchkreuzen. Er hat aber bereits früher unseren Kindern ihre Träume geraubt. Ich erinnere mich an eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus einem Dorf, das 6 km von der Pufferzone entfernt liegt. Ich habe dieses Dorf 2016 besucht, als ich zu Ostern an die Front gefahren bin, um unsere Soldaten und Zivilisten zu besuchen und mit ihnen die Osterliturgie zu feiern. Einmal hat die Lehrerin diese Kinder gefragt, wovon sie träumen. Die Antwort war erschütternd: „Frau Lehrerin, wir haben keine Träume mehr. Wie können wir von etwas träumen, wenn um uns herum Krieg ist?“ Es ist ein echtes Verbrechen, wenn man die Kinder ihrer Träume beraubt, wenn man den Erwachsenen ihre Hoffnungen auf ein besseres und würdigeres Leben nimmt und einem gesamten Volk seine Zukunft und selbst seine Existenz versagt.
Und trotz all der Schrecken haben wir immer wieder die Hoffnung gehabt, dass es nicht zum Schlimmsten kommen würde. Leider ist es eingetreten. Am Donnerstag, den 24. Februar sind wir alle in der Ukraine, aber auch in ganz Europa und in der Welt in einer neuen Wirklichkeit aufgewacht. Auf einmal ist allen klar geworden, dass es in Europa Krieg gibt, den Krieg, vor dem man vielleicht viel zu schnell und viel zu leicht die Augen verschlossen hat. Jetzt ist Europa aufgewacht und erschrocken über die Grausamkeit, mit der ein europäisches Volk bestraft wird, nur weil es sich und seinen Nachkommen ein besseres und würdigeres Leben wünscht und danach strebt.
Die Bilder aus der Ukraine und die Nachrichten bewegen unsere Herzen und Gewissen. Aber wir Ukrainer sind auch ganz tief in unseren Herzen berührt von der Welle der Solidarität und des Mitgefühls, die hier in Deutschland ganz spontan entstanden ist und mit so großer Sympathie zum Ausdruck gebracht wird. Dafür möchte ich Ihnen allen heute unser tiefstes und herzliches „Vergelt´s Gott“ sagen! Wenn ich diesen ununterbrochenen Strom von Menschen sehe, die in unsere Pfarreien kommen, die uns anrufen und ihre Hilfe anbieten, wenn ich Hunderttausende auf den Straßen der großen Städte sehe, die gegen den Krieg in der Ukraine protestieren und uns ihre Solidarität auf vielfache Weise zeigen, so denke ich mir, dass inmitten des großen Leids meines Volkes ein neues Europa geboren wird, ein Europa der Werte und nicht der Interessen, ein Europa, für das solche Begriffe wie Gerechtigkeit, Würde, Freiheit und Brüderlichkeit nicht leere Worte sind, sondern grundlegende Prinzipien darstellen, nur auf denen eine sichere und friedliche Zukunft aufgebaut werden kann.
So beten wir, Schwestern und Brüder, dass Gott der Herr unser Flehen aufnimmt, unsere Gebete erhört und der Ukraine sowie dem gesamten Europa Frieden schenkt. Möge es geschehen auf die mütterliche Fürsprache der Seligen Jungfrau Maria, der Königin des Friedens. Amen!
+ Bohdan Dzyurakh