Schreiben der Bischofssynode der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK) vom Jahre 2022

 Prot. N. 22/151 DE
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„Besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12,21)
 Schreiben der Bischofssynode
der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche (UGKK) vom Jahre 2022
an den Klerus, die Ordensleute und die Gläubigen der UGKK
und an alle Menschen guten Willens

 

Es gibt keine größere Liebe,
als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt (Joh 15,13).

 

Geliebte in Christus!

 Bereits seit fünf Monaten tobt auf ukrainischem Boden ein großangelegter, grausamer Krieg. Er kam ungebeten und heimtückisch bereits 2014. Seitdem der Feind am 24. Februar all seine bisherigen Masken abgelegt hat, zerstört er nun offen die Ukraine.

Die russische Armee tötet die Unschuldigen und vergewaltigt die Wehrlosen, entführt die Kinder und verschleppt die Okkupierten, foltert die Gefangenen und lässt die Blockierten aushungern, raubt das von uns angebaute Getreide und plündert unsere Wohnungen, annektiert unsere Gebiete und zerstört die eingenommenen Unternehmen, beschießt die friedlichen Städte und terrorisiert die Bewohner. Die russische Leitung versucht, die ukrainische Staatlichkeit zu vernichten und uns unseres Namens zu berauben. „Ihre Augen und ihr Herz sind nur auf ihren Vorteil gerichtet, darauf, das Blut von Unschuldigen zu vergießen, und darauf, Bedrückung und Erpressung zu verüben“ (vgl. Jer 22,17). Wie im 20. Jahrhundert hat sich unser Vaterland wieder in ein „blutiges Land“ verwandelt.

Entschieden verurteilen wir diesen Krieg! Denn „ein Gräuel ist dem Herrn der Weg des Frevlers“ (Spr 15,9). Die Welt hat eine moralische Verpflichtung, diese Aggression gegen die Ukraine abzuwenden!

Die Absichten des Aggressors sind offensichtlich völkermörderisch: Die Kriegstaktik seit den ersten Tagen zeigt, dass er nicht gegen eine Armee, sondern gegen ein Volk kämpft. So versucht Russland, sein imperiales Begehren zu stillen. Seine Leitung betrachtet die Ukraine als Kolonie, Minderstaat, der es nicht wert ist, einen Platz auf der politischen Weltkarte zu haben. Um mächtig zu sein, bedarf das Imperium der Kolonien – der unterjochten Länder, Ressourcen und Sklaven. Diese kolonialistische Völkermordlogik diktiert die Taktik der verbrannten Erde, die niemanden und nichts verschont. Weder eine betagte Person, noch eine schwangere Frau, noch ein Baby in der Entbindungsklinik, noch die Kinder, die sich im Theater verstecken, sind ihr heilig. Kein historisches Denkmal, keine Industriestadt, kein Wohnhaus mit Hunderten von Bewohnern oder Hektare reifen Getreides stellen für sie einen Wert dar. Jeden und alles kann man vernichten, „um der gestellten Aufgaben willen“. Tagtäglich blickt die ganze Welt betäubt auf diese Barbarei, den moralischen Verfall und die Ruchlosigkeit der Angreifer. Die Ukraine aber verteidigt sich, weil sich ihr Volk ein für allemal geweigert hat, versklavt zu werden, und es will einfach frei das ihm von Gott gegebene Leben in gottgegebener Würde leben. Und dies darf ihm niemand wegnehmen –  so spricht der Herr.

Die Ukraine möchte Russland weder erobern noch demütigen. Von ihrem Nachbar-Aggressor, der ein 28-mal größeres Territorium, das sich über elf Zeitzonen erstreckt, und eine fast viermal größere Bevölkerung hat, will sie nur, dass er mit seinen jahrhundertealten Versuchen, die Ukraine zu versklaven und zu zerstören, aufhöre, sich von der Krankheit des Imperialismus befreie und zum Rechtsstaat werde, der die Rechte anderer respektiert. Der Dieb muss weg aus unserem Haus! Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) muss aufhören, die Häresie der „russischen Welt“ ideologisch zu verbreiten! In einer Zeit, in der verschiedene christliche Kirchen mit Reue über ihre historische Rolle in der Kolonialpolitik und der Praxis der Sklaverei nachdenken, führt die ROK ihre Gläubigen in die moralische Finsternis von Gewalt, Invasion und Kriegsverbrechen. Das Salz ist schal geworden und das Licht hat aufgehört zu scheinen (vgl. Mt 5,13–16).

Der Krieg der Invasoren hat in unserem Land eine humanitäre und ökologische Katastrophe sowie eine wirtschaftliche und demografische Krise ausgelöst. Binnen fünf Monate haben bis zu neun Millionen Einwohner die Ukraine verlassen, von denen zwei Millionen Erwachsene und Kinder von den Besatzern nach Russland abgeschoben wurden. Zirka sieben Millionen wurden zu Binnenvertriebenen und 15,6 Millionen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Tausende von Familien sind durch große Entfernungen und Grenzen getrennt. Die Zahl der Witwen und Waisen wächst von Tag zu Tag. Die Eindringlinge tun alles, um unser Vaterland unbewohnbar zu machen, indem sie Städte und Bezirke verwüsten. Wir können nicht das ganze Ausmaß dieses demographischen Niedergangs begreifen, aber wir werden seine Auswirkungen noch Jahrzehnte verspüren.

Die Tragik des Krieges hat auch unsere Kirche schmerzlich verwundet. Ein Teil unserer Pfarreien wurde besetzt und geplündert. Nebenbei bemerkt: Wann immer in den vergangenen Jahrhunderten der Stiefel der russischen Okkupanten – ob zaristisch, sowjetisch oder putinisch – unser Land betrat, wurde die Ukrainische Griechisch-Katholische Kirche verfolgt und zerstört. Jedes Mal hat sie sich aber durch Gottes Willen in neuer Kraft erhoben und ihren Glauben und ihre Ausdauer in den Verfolgungen bezeugt. Wir glauben und sind überzeugt, dass es auch diesmal so sein wird. Wir bekunden unsere Solidarität mit den Bischöfen, Priestern, gottgeweihten Personen und Laien, die sich in den umkämpften und besetzten Gebieten befinden oder gezwungen wurden, ihre Wohnungen und Pfarreien zu verlassen. Wir glauben, dass Sie an Ihre Heimatorte zurückkehren und dass unsere Pfarreien wieder aufleben und sich entwickeln werden. Wir richten die Worte der Brüderlichkeit und Solidarität auch an die römischen Katholiken, die Orthodoxen, die Protestanten, die Juden und die Muslime der Ukraine, die genauso wie wir unter tödlicher Bedrohung stehen. Wir halten zusammen!

Mit einer derartigen Tapferkeit und Eintracht unseres Volkes bei der Verteidigung seiner Souveränität haben selbst viele Ukrainer nicht gerechnet, ganz zu schweigen von anderen Ländern. Der heroische militärische Widerstand, die Hingabe und die Opferbereitschaft der Freiwilligen sowie die Einheit und Einmütigkeit der Religionsgemeinschaften, die zu wichtigen Zentren der gegenseitigen Hilfe und Nächstenliebe wurden, beweisen, dass ein solches Volk nicht versklavt werden kann.

Das Sprichwort: „Sie wollten uns begraben, doch sie wussten nicht, dass wir Samen sind“, wurde zum Motto der Unbezwingbarkeit, der Lebens- und Widerstandskraft der Ukrainer. Es erinnert ferner an den Ausspruch des christlichen Schriftstellers Tertullian: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche“. So neigen wir unser Haupt vor all jenen, die sich geopfert haben und opfern, um die Unschuldigen zu schützen, die Wahrheit zu verteidigen und die heilige, von Gott gegebene Menschenwürde zu verteidigen.

Dieses große und schmerzliche Opfer, insofern es wahr und österlich ist, bringt allerdings reiche, lebensspendende Früchte. Mitten im Tod, den der Feind mit allen Waffen der Bosheit und des Hasses überall sät, keimen Sprossen von unermesslicher Stärke und Edelmut. Weil Gott die Seelen der Ukrainer mit dem Glauben entflammt hat, dass Seine Wahrheit triumphieren wird, nennen sie in der Zeit des vorherrschenden Relativismus die Dinge beim Namen: Es gibt nicht nur die Wahrheit, die Güte, die Grundsätze und die Werte, nach denen man leben soll und für die man sogar sterben kann, sondern auch die Lügen und ein böses Übel. Die Ukraine hat Europa vereint, seine Risse geheilt und die Menschen guten Willens auf der ganzen Welt inspiriert. Vor den Augen der Menschheit wird die Heilige Schrift wieder lebendig und der Herr der Geschichte lässt das Wunder klar werden: Der David widersteht dem Goliath. So können die ukrainischen Soldaten, die ihre Heimat, das Leben ihrer Verwandten und Angehörigen sowie die Freiheit und die Würde der Menschen beschützen, zusammen mit David sprechen: „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des Herrn der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, den du verhöhnt hast“ (1 Sam 17,45). Darum drücken wir all jenen unsere aufrichtige Anerkennung aus, die sich aufopferungsvoll für Wahrheit und Gerechtigkeit einsetzen.

Wir danken auch den Militärseelsorgern, die unter Einsatz ihres Lebens unseren Verteidigern beistehen, zusammen mit ihnen beten, Christus zu ihnen tragen und sich um humanitäre Hilfe kümmern.

Durch das Leiden und den verzweifelten Kampf um ihre Existenz ist die Ukraine zum Epizentrum globaler Veränderungen geworden. Vielen Menschen und Nationen fällt es nun wie Schuppen von den Augen: Es wird etwa deutlich, dass billige Ressourcen der Unterstützung von Seiten der Diktatoren nicht wert sind; dass das Weltsicherheitssystem geschwächt und der Friede bedroht wird, wenn man um des Wohlstandes willen auf die göttlichen Grundsätze und das Verhalten derer, die sie übertreten, nicht mehr achtet; dass keine Person oder kein Land eine isolierte Insel sein kann, sondern dass die gesamte Menschheit auf verschiedenen Ebenen miteinander verbunden ist, und wenn einem Land Unrecht zugefügt wird, die anderen davon nicht unberührt bleiben können. So wird das „Nie Wieder!“ aus einem historischen Spruch zum moralischen Imperativ.

Durch den Willen Gottes ist die Wahrheit klarer geworden, die Lüge ist aber verwelkt, „weil keine Lüge von der Wahrheit stammt“ (1 Joh 2,21). Denn die Tatsache der unprovozierten Aggression seitens Russlands, verstärkt noch durch die Kriegsverbrechen der russischen Besatzer, löste eine weltweite Welle der Unterstützung für die Ukrainer aus. Das beispiellose Ausmaß humanitärer Hilfe für Flüchtlinge und vorübergehend Vertriebene ist ein authentisches Zeugnis christlicher Liebe: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen; ich war in der Not und ihr seid zu mir gekommen“ (vgl. Mt 25,35-36). Wir drücken unsere tiefe Dankbarkeit aus für diese Gastfreundschaft und Großzügigkeit verschiedener Nationen, Kirchen, Bischöfe, Priester, Mönche und Nonnen, Laien und Menschen guten Willens in verschiedenen Ländern und auf verschiedenen Kontinenten. Wir sagen unseren aufrichtigen Dank auch den Klöstern und den Ordensgemeinschaften in der Ukraine und im Ausland für die Aufnahme von Tausenden von Vertriebenen, mit denen sie alles teilen, was sie haben. Wie zur Zeit der ersten christlichen Gemeinden „hat der Überfluss einiger Menschen dem Mangel anderer abgeholfen“ (vgl. 2 Kor 8,14).

In diesen Tagen fragen wir uns: Was gibt uns die Kraft zum Kampf und Widerstand gegen den Feind, der uns an militärischer Stärke zehnmal überlegen ist? Wenn wir aber die Frage umformen: „Wer“ gibt uns Kraft?, dann wird die Antwort offensichtlich: Gott gibt uns Kraft, denn Er ist der Herr der himmlischen Kräfte. Wieso? Weil wir lieben! In der Kraft der Ukrainer zeigt sich nämlich die Kraft der Liebe. Denn anstatt das Fremde zu hassen, lassen sich unsere Soldaten vom Grundsatz leiten, das Seinige zu lieben – Kinder, Geliebte, Eltern, Freunde, Land, Heimatstraßen, Morgendämmerung, Nebel… Diese Liebe äußert sich etwa in unermüdlicher Arbeit der Freiwilligen, in großzügigen Spenden von Millionen Menschen und in aufrichtigem, stillem Gebet. Und in dieser Liebe haben wir bereits gesiegt.

Diese moralische Überlegenheit soll aufrechterhalten werden. Denn wir werden nur dann endgültig siegen, wenn wir weiterhin lieben, wenn wir auch nicht in dem geringsten Jota abweichen von der biblischen Formel dieses Sieges: „Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tod“ (1 Joh 3,14). Die Liebe erzeugt die Helden, der Hass dagegen die Kriminellen. Die Grausamkeit des Krieges dehumanisiert. Darum müssen wir als Nation, die sich verteidigt, und als Kirche, die diese Nation zur Familie Christi sammelt, alle Anstrengungen unternehmen, um unsere Würde und Humanität zu bewahren und keinesfalls zur Unmenschlichkeit und den Gräueltaten der Aggressoren herabzusinken. Schützen wir die Herzen unserer Soldaten vor dem Bösen, damit sie Krieger des Lichts und der Güte bleiben! Beschützen wir unsere Herzen! Verwandeln wir unseren Zorn und unser Leid in die Tapferkeit, die Beharrlichkeit, wahre Weisheit und den Sieg der Wahrheit Gottes, wie es der heilige Apostel Paulus sagt: „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm 12,21).

Wie kann man Kirche sein?

Noch klarer und gewichtiger erscheinen vor dem Hintergrund des Krieges die Grundsätze, auf die wir in dem postsynodalen Schreiben „Die Hoffnung, zu der uns der Herr ruft“ von 2021 eingegangen sind, in welchem wir über unsere Zukunft nachgedacht und die pastoralen Prioritäten unserer Kirche für das nächste Jahrzehnt festgelegt haben. Ausgehend von der Erfahrung der weltweiten Quarantäne, die soziale Beziehungen und Strukturen tiefgreifend beeinträchtigte, haben wir in dem besagten Schreiben die Notwendigkeit der pastoralen Umkehr, des Aufbaus der Netzwerke der communio, der Heilung der Wunden sowie der Nähe und der ganz konkreten Aufmerksamkeit für die Armen und Ausgegrenzten betont. Auf der Basis der Erfahrungen unserer Gemeinden haben wir damals versucht, eine Methodik zu beschreiben, und der Krieg hat dazu einen Kontext geschaffen, in dem jeder von uns tiefer darüber nachdenken kann, was diese Methodik und diese Grundsätze bedeuten und zu welchen praktischen Schlussfolgerungen und Handlungen sie führen.

Unsere pastorale Umkehr hieße nun, unseren Gläubigen nahe zu sein – in Leiden, Kummer, Erprobungen und Tod. „Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit“ (1 Kor 12,26). So kehrt der Ausdruck „nach Schaf riechen“ zu seiner ursprünglichen, radikalen Bedeutung zurück, die ihm Christus gegeben hat – das eigene Leben für die anvertraute Herde einzusetzen. Der Krieg spornt uns an, die Bande der Solidarität zwischen den Menschen, Pfarreien und Ländern mit neuem Eifer und Beständigkeit weiter aufzubauen. Denn die neuen, bisher unerhörten Wunden verlangen von allen beharrliches Gebet und großherzige Arbeit, um mit dem Öl der göttlichen Barmherzigkeit und der menschlichen Empathie geheilt und in die Quellen der Hoffnung verwandelt zu werden. Diese Hilfe für die Armen und Ausgegrenzten fordert von uns neue Herangehensweisen und Kreativität in der Liebe.

Bei der Eröffnung der Bischofssynode der Katholischen Kirche im Oktober 2021 betonte Papst Franziskus, dass wir zur Einheit, Kommunion und Brüderlichkeit berufen sind, die gerade dann erscheinen, wenn uns bewusst wird, dass uns alle die eine Liebe Gottes umarmt. Dies bedeutet, dass unsere Einheit oder Solidarität kein soziales Konstrukt ist, sondern vielmehr unsere Identität in der Antwort auf die Liebe Gottes. „Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8).

Der Krieg lehrt uns durch Leid, Opfer und Kummer, die er täglich mit sich bringt, die Kirche Christi zu sein, unerschütterlich an die Kraft des Guten zu glauben und tätige Liebe zu praktizieren. „Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht“ (1 Joh 4,20).

Wir sind berufen, eine Kirche zu sein, die nahe ist

In der Ukraine und im Ausland schaffen unsere Pfarreien die Netzwerke des Gebets und der Unterstützung. Neben Gebeten um Frieden, um Rettung, für Verwundete und Gefallene werden Ankündigungen über Spendensammlungen, Freiwilligensuche sowie Ein- und Auspacken von Sachspenden mitgeteilt. Die emsige und fleißige Arbeit geht weiter. Durch das Zeugnis der Kirche und unserer Gläubigen in verschiedenen Ländern der Welt wird die Wahrheit verbreitet und das Bewusstsein dafür gestärkt, was die Menschen in der Ukraine erleben. Eine solche Kirche, die im Leid und im Kummer den Menschen nahe ist, lebt und wird kein Museum.

Wir sind berufen, eine Kirche zu sein, die hört

Die Seelsorger, Priester, Ordensleute oder Laien, die mit den Menschen arbeiten, welche die Okkupation, den Beschuss, die Verstümmelung oder den Tod von Angehörigen erlebt haben, stellen fest, dass die Trostworte: „Ich bin mit dir“ am wichtigsten sind. Kontakt, Aufmerksamkeit, Menschlichkeit, Gebet sind die wesentlichen Methoden der Seelsorge im Krieg. Einem anderen zuzuhören, seine Geschichte zu hören, seinen Schmerz zu teilen – dies bedeutet in unseren konkreten Umständen, Kirche zu sein.

Wir sind berufen, eine Kirche zu sein, die Wunden heilt

Während seiner irdischen Mission heilte Christus Blinde, Gelähmte und Besessene, um schließlich die Menschheit und den Menschen von der Krankheit des Todes und der Sünde zu befreien. Diesen seinen Heilungsdienst hat Christus der Kirche übertragen. Deshalb ist die Linderung und Heilung geistiger Wunden, die Bewältigung von Traumata und Stress eine der Prioritätsaufgaben der Kirche und ihrer Amtsträger während des Krieges. „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Gal 6,2). Die Wunden und Traumata der Menschen, denen zu dienen wir berufen sind, sind meistens sichtbar und offensichtlich, aber manchmal bleiben sie verborgen oder mit Binden von Wut, Angst oder vorgetäuschter Zurückhaltung umwickelt.

Die Kirche, die selbst von Leid und Schmerz des Kriegsunheils verwundet ist, ist berufen, jedem bedürftigen und verwundeten Menschen die Heilmittel der Gnade des Heiligen Geistes in den heiligen Sakramenten und in der geistlichen Begleitung zu bringen – die Heilmittel des Trostes und der barmherzigen Liebe. In menschlichen Wunden erkennen wir die Wunden unseres Heilandes, und indem wir menschliches Leid berühren, finden wir den Kontakt mit dem auferstandenen Christus, dessen Wunden zum Zeichen des endgültigen Sieges Gottes über die finsteren und zerstörerischen Mächte der Sünde wurden.

In seinem Sohn, der für die Sünden aller Menschen gekreuzigt und durch die Kraft des Heiligen Geistes von den Toten auferweckt worden ist, begegnet seinen leidenden Kindern der Gottvater selbst. Er verwandelt das menschliche Leid in eine Quelle der Hoffnung und des ewigen Lebens. Das versichert uns das Wort Gottes, gesprochen durch den Mund des heiligen Apostels Paulus: „Sind wir nun mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden. Wir wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt; der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn durch sein Sterben ist er ein für alle Mal gestorben für die Sünde, sein Leben aber lebt er für Gott“ (Röm 6,8–10).

Wir sind berufen, eine Kirche zu sein, die um Frieden betet und Gerechtigkeit sucht

„Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27). Der Friede ist eine der Gaben des Heiligen Geistes. Inmitten des Schmerzes der uns täglich beunruhigenden Nachrichten fleht deshalb die Kirche unaufhörlich den Herrn um den Frieden für die leidgeprüfte Ukraine. Sie arbeitet auch mit anderen, damit in unserem Land Frieden und Gerechtigkeit wiederhergestellt werden.

Wir sind berufen, eine Kirche zu sein, die Hoffnung gibt

Wir Christen sind Menschen der Hoffnung, nicht weil wir „auf Besseres hoffen“, sondern weil wir an Gott und an das ewige Leben glauben, zu dem uns der Herr einlädt. „Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,5). Es ist ein Paradox, aber gerade ein solcher Glaube ermöglicht uns, die irdischen Ereignisse, insbesondere diesen Krieg, voll und tief zu erfahren. In der Perspektive der Ewigkeit wird das Alltägliche nicht verwischt, sondern, im Gegenteil, es bekommt klare Umrisse. Dabei wird bewusst, wie heilig der Wert eines jeden Menschen ist.

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Geliebte in Christus, Brüder und Schwestern! Wir, die Bischöfe der UGKK, haben uns aufgrund der weltweiten Quarantäne seit drei Jahren nicht mehr real gesehen. Die Freude unserer brüderlichen Begegnung wird jedoch von den Schrecken des Krieges überschattet. Ebendieser Krieg und das Leid, das er unserem Volk zufügt, sowie die jüngsten Herausforderungen, die durch die russische Kriegsaggression gegen unser Vaterland verursacht wurden, standen im Mittelpunkt unserer Gebete, Gespräche und synodalen Beratungen. Darüber hinaus haben wir während der diesjährigen Sitzung der Synode über das Thema „Synodalität und Kollegialität: die Erfahrung der UGKK“ nachgedacht. Im Kontext der gegenwärtigen Situation ist dies kein abstraktes Thema. Im Gegenteil, in den Schwierigkeiten, die unser Staat und unser Volk erleben, sind wir berufen, die Kraft der Einheit und die Unerlässlichkeit der täglichen und beharrlichen Solidarität für den Sieg neu zu entdecken: „In der Einheit liegt die Stärke des Volkes. O Gott, gewähre uns die Einheit!“ So haben wir noch deutlicher gespürt, dass wir berufen sind, die Einheit innerhalb des Landes zu stärken und unsere Gläubigen und alle Menschen guten Willens außerhalb seiner Grenzen zu unterstützen.

Durch die Kraft und das Wirken des Heiligen Geistes mögen uns daher die unerschütterliche Einheit und der Glaube an den Sieg der Wahrheit Gottes gegeben werden!

Der Herr stärke und segne unsere Verteidiger, Freiwilligen, Ärzte, Feuerwehrleute, die legitime Regierung der Ukraine und alle, welche die Ukraine vor dem Aggressor schützen und sie von ihm befreien!

Möge Er die Familien der Verstorbenen, die Waisen und Witwen, die Gefangenen und Vermissten umarmen!

Möge Er den Gefallenen die ewige Belohnung und die Fülle des Lebens schenken!

Möge Er mit dem Öl der barmherzigen Liebe die physischen, seelischen und geistlichen Wunden der Opfer heilen!

Möge Er, auf die Gebete der allerheiligen Gottesgebärerin und aller Heiligen des ukrainischen Landes, der ganzen Welt seinen Frieden und Segen schenken!

 

Der Segen des Herrn komme auf Euch herab!

 

Im Namen der Bischofssynode
der Ukrainischen Griechisch-Katholischen Kirche

 † SWJATOSLAW

 

Przemyśl,
an der Kathedralkirche der Geburt des Heiligen Johannes des Täufers,
am Fest der Niederlegung des ehrwürdigen Gewandes unserer allheiligen Herrin, der Gottesgebärerin Maria in der Blachernenkirche
am 15. Juli 2022