„Hoffentlich hört die EU die Stimme unseres Volkes“
10.12.2013
Bischof: Ukrainische Kirche steht auf Seiten der Demonstranten
Kiew (KNA) Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine unterstützt die proeuropäischen Demonstranten in Kiew im Machtkampf mit der Regierung. Sie dringt auf einen Dialog zwischen Regierung und Opposition. Der Generalsekretär der Bischofssynode der mit Rom verbundenen Kirche, der Kiewer Weihbischof Bogdan Dzurakh (46), äußert im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) den Wunsch, dass sich auch Europa mit den Demonstranten solidarisiert und diese „nicht verrät“.
KNA: Herr Bischof, unterstützt Ihre Kirche die Proteste gegen die ukrainische Regierung?
Dzurakh: Die Menschen stehen auf dem zentralen Platz der Hauptstadt und in vielen anderen Städten der Ukraine eher für etwas ein: für ein würdigeres Leben, für eine bessere Zukunft ihrer Kinder, für die europäische Perspektive des eigenen Landes. Die jüngsten Schritte der Regierung, die sich gegen die EU-Assoziierung ausgesprochen hat, betrachtet die Bevölkerung als Betrug. Leider haben die Politiker dem Volk nicht zugehört. Noch schlimmer: Die Regierung hat gegen unschuldige und friedvolle Studenten Gewalt angewendet. Unter diesen Umständen haben die Kirchen in der Ukraine ihre Stimme für die Rechte der Menschen erhoben und sich auf die Seite der Schwachen, Unschuldigen und Betroffenen gestellt.
Unserer Überzeugung nach stehen in diesen Tagen auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz nicht in erster Linie bestimmte politische Parteien, sondern hier steht die bürgerliche Gesellschaft, die den Willen des Volkes zum Ausdruck bringt. Wir stimmen überein mit jenem westlichen Politiker, der gesagt hat: Die Regierenden in der Ukraine sollen auf das Volk hören und es nicht schlagen.
KNA: Können Kirchenvertreter bei der Lösung des Konflikts zwischen Regierung und Opposition helfen, zum Beispiel als Vermittler zwischen beiden Seiten?
Dzurakh: Der All-Ukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen hat sich bereiterklärt, das Zustandekommen eines Dialogs zu fördern und alles zu tun, um den Frieden im Land wiederherzustellen und eine Versöhnung zu erreichen. Eine unmittelbare Teilnahme an Gesprächen zwischen Regierung und den Demonstranten sehen wir derzeit nicht als notwendig an. So beschränken wir unser Engagement auf das Gebet für den Frieden.
Wir ermahnen die Regierenden, keine Gewalt anzuwenden, und rufen zum Dialog zwischen allen Seiten auf. Wir hoffen, dass die Stimme des Volkes letztendlich gehört wird und dass die konstruktiven Kräfte sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft zu einer friedlichen Lösung der Krise beitragen werden. Dafür beten wir ununterbrochen.
KNA: Auslöser der Demonstrationen ist die überraschende Ablehnung der Regierung, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben. Was erwarten Sie jetzt von der EU?
Dzurakh: In diesen Tagen findet hier in Kiew das friedliche, aber sehr entschlossene Ringen für Europa statt. Wir hoffen sehr, dass die EU die Stimme unseres Volkes hört und kein passiver Beobachter bleiben wird. In den vergangenen Tagen haben wir mehrere Zeichen der Solidarität von den Menschen und Institutionen im Westen erhalten. Wir danken ihnen herzlich für diese Zeichen, die für uns eine große Ermutigung sind.
Hunderttausende Ukrainer, die den Willen des Volkes vertreten, streben nach Europa, weil sie sich als Europäer betrachten und zurück nach Hause gelangen wollen. Wir kommen nicht mit leeren Händen. Deshalb wollen wir glauben, dass auch die Verantwortlichen in Europa unser Volk in dieser Situation nicht verraten werden – weil sich Europa sonst selbst verleugnen würde.
Von Oliver Hinz (KNA)
(Hintergrund – Stichwort) Griechisch-katholische Kirche der Ukraine
Kiew (KNA) Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine ist die größte katholische Ostkirche. Zu ihr bekennen sich nach offiziellen Kirchenangaben rund sieben Millionen Mitglieder. Davon leben etwa 1,5 Millionen im Ausland, wo mehr als die Hälfte der Diözesen und Exarchate liegen. In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine ist etwa jeder zehnte Einwohner griechisch-katholisch.
Den Namen der Kirche führte 1774 die österreichische Kaiserin Maria Theresia ein, zu deren Reich die Westukraine gehörte. Die Kirche ist mit Rom uniert, untersteht also dem Papst. Dieser muss das von einer Bischofssynode gewählte Oberhaupt der Kirche bestätigen; ebenso die Bischöfe. Die Gottesdienste zelebrieren die ukrainischen Unierten im sogenannten byzantinischen, ostkirchlichen Ritus. Wie die orthodoxen Kirchen feiern sie Weihnachten und Ostern nach dem Julianischen Kalender. Ebenso weiht die griechisch-katholische Kirche auch verheiratete Männer zum Priester, nicht jedoch zum Bischof.
Hervorgegangen ist die griechisch-katholische Kirche aus der 1596 geschlossenen sogenannten Union von Brest. Damals unterstellten sich die orthodoxen Bischöfe des polnisch-litauischen Staates, unter ihnen auch die Kiewer Metropolie, dem Papst. Diese Union stieß jedoch vor allem in der Zentral- und Ostukraine auf breiten Widerstand. Ein Großteil der dortigen Kirchenhierarchie und der Gläubigen beharrte auf der kanonischen Zugehörigkeit zum Patriarchat von Konstantinopel und spaltete sich von den Unierten ab. So kam es 1620 zur Wiedererrichtung einer orthodoxen Metropolie, die sich später dem Moskauer Patriarchat unterstellte.
Die kommunistische sowjetische Führung verbot die griechisch-katholische Kirche 1946 und ordnete ihre Zwangsvereinigung mit der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates an. Zahlreiche Bischöfe und Geistliche wurden verhaftet und starben in sibirischen Gulags. Erst 1989 kam die Kirche wieder aus dem Untergrund. 1991 kehrte ihr Oberhaupt, Kardinal Myroslav Lubachivsky, aus Rom ins westukrainische Lviv (Lemberg) zurück.
Dessen Nachfolger, Kardinal Lubomyr Husar (2001-2011), verlegte den Hauptsitz der Kirche 2005 mit Zustimmung des Papstes von ihrer westukrainischen Hochburg Lviv in die Hauptstadt Kiew. Zudem errichtete er Exarchate in der Ostukraine. Das führte zu schweren Spannungen mit der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.
Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine zählt heute landesweit rund 3.600 Pfarreien und Gotteshäuser, mehr als 2.300 Geistliche und etwa 1.200 Ordensleute. Es gibt etwa 1.100 Sonntagsschulen sowie 105 Klöster. Die Kirche ist Trägerin der Ukrainischen Katholischen Universität in Lviv, an der rund 1.300 Studenten eingeschrieben sind. (KNA)