„Das Land ist zur Geisel der Regierung geworden“ – Ukrainisch-Katholischer Bischof Dziurach zu Protesten in Kiew
24.01.2014
Kiew (KNA) Die ukrainische Regierung trägt nach Meinung des griechisch-katholischen Weihbischofs in Kiew, Bogdan Dziurach (46), die Hauptverantwortung für die schwere Krise des Landes. Der Generalsekretär der Bischofssynode der mit Rom verbundenen Kirche warf ihr am Donnerstag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) vor, „demokratiefeindliche Gesetze“ in Kraft gesetzt zu haben und mit Spezialeinheiten gegen Demonstranten vorzugehen:
KNA: Herr Bischof, Regierung und Opposition machen sich gegenseitig dafür verantwortlich, dass bei den Protesten mehrere Regierungsgegner ums Leben kamen. Auf welcher Seite steht die griechisch-katholische Kirche?
Dziurach: Unsere Kirche steht eindeutig auf der Seite des Volkes. Gleichzeitig haben wir uns mehrfach gegen jede Form der Gewalt ausgesprochen sowie zum Dialog zwischen allen Seiten aufgerufen. Die jüngsten Ereignisse haben leider gezeigt, dass die Regierung keine friedliche Lösung sucht. Sie hat stattdessen einen hinterlistigen Plan gegen das eigene Volk ausgearbeitet und durchgesetzt. Die vom Parlament beschlossenen Gesetze, die gegen die Demonstranten gerichtet sind, haben die Lage noch schärfer gemacht. Deshalb ist für die dramatische Zuspitzung der Proteste nach Meinung der meisten Experten vor allem die Regierung verantwortlich.
Seit über zwei Monaten haben Hunderttausende Menschen ganz friedlich ihre Ablehnung der jüngsten Politik der Herrschenden in der Ukraine zum Ausdruck gebracht. In jedem demokratischen Land würde das Anlass für eine breite Diskussion und die Suche nach einem Konsens sein. Hier in der Ukraine ist das aber nicht der Fall. Der Präsident ignoriert bis heute völlig die Stimme der Protestierenden. Er hat in den vergangenen Tagen gegen sie sogar Spezialeinheiten und Gruppen organisierter Kriminelle, sogenannte Tituschki, geschickt. Es gibt bereits fünf Tote und zahlreiche Verletzte. Das Land ist zur Geisel der unverantwortlichen Politik der Regierung geworden. Diese Situation besorgt uns sehr und führt uns dazu, unsere Gebete noch zu intensivieren.
KNA: Als erste und bisher einzige kirchliche Institution forderte Mitte Dezember die Ukrainische Katholische Universität Lviv den Rücktritt der Regierung. Trauen Sie Janukowitsch die Lösung der jetzigen politischen Krise zu?
Dziurach: Die Lösung muss im Rahmen der Gesetze sein. Das Problem aber besteht darin, dass das Parlament demokratiefeindliche Gesetze verabschiedet hat. Der Präsident hat sie sofort unterschrieben. Diese Gesetze begrenzen auf drastische Weise die Rechte der Bevölkerung auf friedliche Proteste und sehen die strafrechtliche Verfolgung der Teilnehmer vor. Die ersten beiden Schritte zur Lösung der Krise müssen Gewaltverzicht aller Seiten und eine Rücknahme des Gesetzespakets sein.
KNA: Die Religionsgemeinschaften haben in einer gemeinsamen Erklärung ihre Hilfe zur Einleitung eines konstruktiven Dialogs zwischen Regierung und Opposition angeboten. Wie könnte dieser Beitrag der Kirchen aussehen?
Dziurach: Es gab auf die Initiative des ehemaligen Präsidenten Leonid Krawtschuk bereits einen Runden Tisch, an dem Vertreter der Kirchen, Regierung und Opposition teilnahmen. Die kirchlichen Teilnehmer haben aber festgestellt, dass es eher ein Gespräch des Stummen mit dem Tauben war und kein echter Dialog, um eine friedliche Lösung zu finden. Jeder der Anwesenden hat eigene Positionen geäußert. Es wurden aber keine konkreten Schritte vereinbart, um das schlimmste Szenario zu vermeiden. Nun sollte ein echter und kein simulierter Dialog stattfinden. Wir hoffen, dass die Teilnahme hoher Kirchenvertreter dem Aufbau von Vertrauen zwischen allen Seiten dient und auf diese Weise eine friedliche Lösung erleichtert wird.
Die bisherige Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Kirchen bis zu den vergangenen Tagen wesentlich zum friedlichen Verlauf der Proteste beigetragen haben, was sogar die Regierung anerkennen musste.
KNA: Geistliche haben sich mehrfach zwischen Streitkräfte und Demonstranten gestellt und versucht, die Anwendung von Gewalt abzuwenden. Hat die Kirchenleitung die Priester dazu ermuntert?
Dziurach: In der jetzigen Situation kann man keine Person dazu zwingen oder aufrufen, sich zwischen die Fronten zu stellen und damit selbst zu gefährden. Es gibt aber Momente, in denen man der Stimme des eigenen Gewissens folgen und nicht auf die Befehle von oben warten muss. Geistliche sollen den eigenen Gläubigen in jeder Situation beistehen. Jeder muss für sich selbst entscheiden, wie er diese Nähe zu den bedrohten Menschen und konkrete Solidarität mit ihnen zum Ausdruck bringt. Uns bewegen die Worte von Papst Franziskus, dass der Hirte nach den eigenen Schafen riechen muss.
Von Oliver Hinz (KNA)