„Der Westen sollte die Gefahr für Europa erkennen“ – Bischof Dziurach zum Konflikt mit Russland

Von Oliver Hinz (KNA)
Kiew (KNA) Trotz der Krim-Krise glaubt der griechisch-katholische Kiewer Weihbischof Bogdan Dzi-urach (46), dass ein Zerfall der Ukraine abgewendet werden kann. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) lobt der Generalsekretär der Bischofssynode der mit Rom verbundenen Kirche am Donnerstag die „Selbstbeherrschung“ der ukrainischen Soldaten und kritisiert die auf der Krim geplante Volksabstimmung ebenso wie das Verhalten der russisch-orthodoxen Kirche in dem Konflikt.
KNA: Herr Bischof, wie gefährlich ist der Nervenkrieg um die Krim?
Dziurach: Es ist schon eine außergewöhnliche Situation, dass wir von einem wahren Krieg am An-fang des 21. Jahrhunderts inmitten des europäischen Kontinents sprechen müssen. Es grenzt ans Unglaubliche, dass ein Land ohne jeden Grund seinen Nachbarn angreift! Der Gnade Gottes und der Selbstbeherrschung der ukrainischen Soldaten verdanken wir es, dass sich die bisherigen Provokati-onen der russischen Truppen noch nicht in eine blutige Konfrontation verwandelt haben.
Mittlerweile verstehen alle kritisch und selbstständig denkenden Menschen sehr klar, dass der Kreml mit seinem Vorgehen alle möglichen internationalen Vereinbarungen missachtet hat. Dabei bedienen
sich der Präsident und seine Mitarbeiter einer unverschämten Lüge – sowohl innerhalb seines Lan-des als auch auf internationaler Ebene. Die Invasion der russischen Militäreinheiten stellt eine echte Aggression gegen einen unabhängigen Staat dar. Dadurch ist die Stabilität in ganz Europa, wenn nicht in der Welt massiv bedroht.
KNA: Wie verhalten sich die Kirchen?
Dziurach: Die Kirchen und Religionsgemeinschaften der Ukraine haben von Anfang an eine sehr eindeutige und feste Position gegen die russische Besatzung eingenommen. In einer gemeinsamen Stellungnahme haben die Kirchenoberhäupter die Stationierung fremder Militäreinheiten in einem unabhängigen Staat als Gefahr nicht nur für unser Land, sondern auch für den Frieden in ganz Europa bezeichnet. Sie haben von Russland verlangt, sich der Verantwortlichkeit vor Gott und der Menschheit für die möglichen irreparablen Folgen eines militärischen Konfliktes bewusst zu wer-den und jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine zu beenden.
In diesem Geist haben sich auch die einzelnen Kirchen geäußert. Bemerkenswert war die Aussage des Pressesprechers der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, Erzpriester Ge-orgij Kowalenko. Er erklärte, dass es keinen Segen Gottes gebe für jene, die Gewalt ausüben. Er führte das Zehnte Gebot an: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut“ und bezeichnete Russ-lands Aktionen auf der Krim als Verstoß gegen das Gesetz Gottes.
KNA: Der russisch-orthodoxe Patriarch Kyrill I. hat sich trotz mehrerer Appelle bisher nicht gegen einen russischen Militäreinsatz auf der Krim gestellt. Wie bewerten Sie sein Verhalten?
Dziurach: Auf diese Appelle hin hatte sich zuerst Erzpriester Wsewolod Tschaplin, einer der engsten Mitarbeiter des Patriarchen, zu Wort gemeldet. Er nannte das Vorgehen der russischen Truppen eine friedliche Mission Russlands auf dem Territorium der Ukraine und äußerte die Hoffnung, dass die russischen Soldaten auf keinen erbitterten Widerstand der Ukrainer treffen.
Am 2. März wurde eine Stellungnahme des Patriarchen veröffentlicht, der zusagte, alles zu tun, um Opfer unter der Zivilbevölkerung in der von ihm, so wörtlich, von Herzen geliebten Ukraine zu ver-meiden. Das Kirchenoberhaupt hat darin weder die Ukraine als ein unabhängiges Land bezeichnet noch den militärischen Angriff Putins mit einem Wort verurteilt. Wenn man sich also nur Sorge um Opfer bei der Zivilbevölkerung macht, so fragt man sich, ob hinter den allgemeinen Phrasen über die Bruderschaft des ukrainischen, weißrussischen und russischen Volkes nicht doch ein stiller Segen für das gewaltsame Vorgehen Putins in der Ukraine gegeben wurde.
Ehrlich gesagt bin ich fassungslos angesichts einer solchen Aussage des Vertreters und Leiters einer Kirche, deren Gläubige einen sehr großen Teil der Bevölkerung der Ukraine bilden. Wir verlieren aber nicht den Mut und setzen unsere ganze Hoffnung auf die Hilfe Gottes.
KNA: In der Moskau unterstehenden ukrainisch-orthodoxen Kirche gibt es eine Debatte, ob der ent-machtete Staatspräsident Viktor Janukowitsch exkommuniziert werden soll. Fänden Sie das ange-bracht?
Dziurach: Ich kann nicht sagen, was man in der ukrainisch-orthodoxen Kirche machen sollte. Es ist eine innere Angelegenheit dieser Konfession, zu der sich Janukowitsch ausdrücklich bekennt und den sie ihrerseits als ihr ehrwürdiges Mitglied betrachtete. Als eine an der Seite stehende Person darf ich vielleicht mein persönliches Empfinden ausdrücken: Es wäre ehrlicher gewesen, ein solches Vorgehen der Ausschließung aus der kirchlichen Gemeinschaft viel früher zu überlegen.
Soweit ich es verstehe, sollte die Exkommunikation letztendlich eine therapeutische Wirkung haben: eine Person, die sich fehlerhaft verhält, auf den rechten Weg zu führen, und den eventuellen Scha-den, die sie in ihrer Umgebung anrichten könnte, zu vermeiden oder zu verringern. In einer Situation, in der der Ex-Präsident entmachtet wurde und von der ukrainischen Regierung als Verbrecher ver-folgt wird, sollte man in christlicher Sorge um das Heil seiner Seele eher um seine Umkehr und Reue beten.
KNA: Auf der Krim und im Donezbecken sind Volksabstimmungen über die Zukunft der beiden Regi-onen geplant. Wie steht die griechisch-katholische Kirche dazu?
Dziurach: Juristisch gesehen sind solche Abstimmungen gesetzwidrig, was bereits durch ein ukrai-nisches Gericht bestätigt wurde. Es gibt kein Verfahren im ukrainischen Gesetz, das diese Volksab-stimmung vorsieht. Ironischerweise hat die frühere Regierung dafür gesorgt. Wir haben keinen Zwei-fel daran, dass dies Teil eines gezielten und berechnenden Vorgehens ist, das einen Zerfall der Uk-raine zum Ziel hat.
Wir hoffen, dass diese Pläne nicht gelingen werden. Ein klares Signal dazu haben die Einwohner der Region selbst gegeben: Am Dienstag fand in Donezk eine große Demonstration von 2.000 bis 3.000 Menschen gegen die russische Besatzung statt, an der fast ausschließlich junge Menschen teilnah-men. Am Mittwoch waren es bereits 10.000! Gerade diese Jugend wird über die Zukunft der Ukraine entscheiden – und nicht verantwortungslose Politiker des Nachbarstaates.
KNA: Wie sollten sich Deutschland, die EU und die Nato verhalten?
Dziurach: Als Bischof kann ich keine politischen Lösungen vorschlagen. Ich hoffe, dass es genü-gend Personen innerhalb und außerhalb der Ukraine gibt, die es besser machen werden, als ich es tun könnte. Was ich aber den westlichen Politikern wirklich wünsche, ist, dass sie der Wahrheit ins Auge schauen und die wahre und echte Gefahr für die Sicherheit auf dem ganzen Kontinent erken-nen, die durch das russische Vorgehen auf dem ukrainischem Staatsgebiet provoziert wird.
In den vergangenen Wochen haben viele ihre Masken abgelegt und ihr wahres Gesicht gezeigt. Jetzt sollte die rosarote Brille abgelegt werden, weil es morgen zu spät sein könnte. Man soll den Aggres-sor beim Namen nennen und alle Möglichkeiten nutzen, um ihn in Zaum zu halten. Trotz der noch immer gespannten Lage auf der Krim hoffen wir sehr, dass gemeinsame und koordinierte Schritte der internationalen Gemeinschaft zu einem friedlichen Weg aus der Krise führen und die Souveräni-tät und Integrität der Ukraine gesichert wird. Dafür beten wir ohne Unterlass.
Ich möchte vom Herzen auch allen Bürgern Europas, den Politikern und allen Brüdern und Schwes-tern im Glauben danken für Ihre Solidarität mit uns und für ihre Gebete. Ich glaube, wir spüren alle sehr deutlich, dass es um sehr viel mehr geht als nur um einen lokalen Konflikt. Es geht hier um die Zukunft Europas.
Bischof Bogdan Dziurach

Kiew (KNA) Der Kiewer Weihbischof Bogdan Dziurach (46) ist seit 2006 Generalsekretär der grie-chisch-katholischen Bischofskonferenz der Ukraine. 2009 übernahm er zusätzlich die Rolle des Kanzlers des Großerzbistums der Hauptstadt. Damit gehört er zu den wichtigsten Sprechern der mit Rom verbundenen Kirche, die von Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk (43) geleitet wird.
Dziurach wurde am 20. März 1967 in der westukrainischen Region Lviv (Lemberg) geboren. Er stu-dierte in Warschau, Straßburg, Innsbruck und Rom Theologie und schloss mit einer Promotion ab. 1991 wurde er zum Priester und 2005 zum Bischof geweiht.
Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine ist mit rund sieben Millionen Mitgliedern die größte katholische Ostkirche. Etwa 1,5 Millionen leben im Ausland, wo mehr als die Hälfte der Diözesen und Exarchate liegen. In der mehrheitlich orthodoxen Ukraine ist etwa jeder zehnte Einwohner griechisch-katholisch.

Griechisch-katholische Kirche der Ukraine
Kiew (KNA) Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine ist die größte katholische Ostkirche. Zu ihr bekennen sich nach offiziellen Kirchenangaben rund sieben Millionen Mitglieder. Davon leben etwa 1,5 Millionen im Ausland, wo mehr als die Hälfte der Diözesen und Exarchate liegen. In der mehrheit-lich orthodoxen Ukraine ist etwa jeder zehnte Einwohner griechisch-katholisch.
Den Namen der Kirche führte 1774 die österreichische Kaiserin Maria Theresia ein, zu deren Reich die Westukraine gehörte. Die Kirche ist mit Rom uniert, untersteht also dem Papst. Dieser muss das von einer Bischofssynode gewählte Oberhaupt, dem Großerzbischof von Kiew-Halytsch, bestätigen. Die Gottesdienste zelebrieren die ukrainischen Unierten im sogenannten byzantinischen, also ost-kirchlichen Ritus. Wie die orthodoxen Kirchen feiern sie Weihnachten und Ostern nach dem Juliani-schen Kalender. Ebenso weiht die griechisch-katholische Kirche auch verheiratete Männer zum Priester, nicht jedoch zum Bischof.
Hervorgegangen ist die griechisch-katholische Kirche aus der 1596 geschlossenen sogenannten Union von Brest. Damals unterstellten sich die orthodoxen Bischöfe des polnisch-litauischen Staates, unter ihnen auch die Kiewer Metropolie, dem Papst. Diese Union stieß jedoch vor allem in der Zent-ral- und Ostukraine auf breiten Widerstand. Ein Großteil der dortigen Kirchenhierarchie und der Gläubigen beharrte auf der kanonischen Zugehörigkeit zum Patriarchat von Konstantinopel und trennte sich von den Unierten. So kam es 1620 zur Wiedererrichtung einer orthodoxen Metropolie, die sich später dem Moskauer Patriarchat unterstellte.
Die kommunistische sowjetische Führung verbot die griechisch-katholische Kirche 1946 und ordnete ihre Zwangsvereinigung mit der orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchates an. Zahlreiche Bi-schöfe und Geistliche wurden verhaftet und starben in sibirischen Gulags. Erst 1989 kam die Kirche wieder aus dem Untergrund. 1991 kehrte ihr Oberhaupt, Kardinal Myroslav Lubachivsky, aus Rom ins westukrainische Lviv (Lemberg) zurück.
Dessen Nachfolger, Kardinal Lubomyr Husar (2001-2011), verlegte den Hauptsitz der Kirche 2005 mit Zustimmung des Papstes von ihrer westukrainischen Hochburg Lviv in die Hauptstadt Kiew. Zu-dem errichtete er Exarchate in der Ostukraine. Das führte zu schweren Spannungen mit der ukrai-nisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats.
Die griechisch-katholische Kirche der Ukraine zählt heute landesweit etwa 3.900 Pfarreien und fast 2.900 Gotteshäuser, rund 2.600 Geistliche und etwa 1.100 Ordensleute. Es gibt rund 1.100 Sonn-tagsschulen sowie 117 Klöster. Die Kirche ist Trägerin der Ukrainischen Katholischen Universität in Lviv, an der mehr als 1.000 Studenten eingeschrieben sind.

Oliver Hinz für www.kna.de