„Ein SOS aus der Ukraine!“ Predigt während des Gebetes für den Frieden in der Ukraine

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„Ein SOS aus der Ukraine!“

Predigt während des Gebetes für den Frieden in der Ukraine

(München, Bürgersaalkirche, 19. Februar 2022)

Liebe Schwestern und Brüder,

wenn ein Schiff im offenen Meer in eine Notlage gerät, schicken die Seeleute ein Notsignal, bekannt als SOS, was heutzutage manchmal auch als Abkürzung für „save our souls“ – „rettet unsere Seelen!“ gedeutet wird. SOS schreiben Menschen, die in Gefahr geraten sind, in den Schnee oder in den Sand in der Hoffnung, dass die Besatzung eines Flugzeugs oder Hubschraubers dieses Zeichen sieht und Hilfe schickt. SOS steht auf den Notruftelefonen, damit die Menschen wissen, wo sie jederzeit anrufen können und mit einer Rettungsaktion rechnen dürfen. Bemerkt man ein solches Signal, darf man es nicht ignorieren, wenn man sich am nächsten Morgen im Spiegel noch in die Augen schauen will.

SOS wird seit fast 8 Jahren aus der Ukraine in die ganze Welt gesendet. Sehr oft aber vergeblich. Sehr oft wurde es nicht gehört oder nicht erhört. Die meisten unserer Zeitgenossen leben, als ob es keinen Krieg in Europa gäbe! Und doch wütet er bei uns bereits seit 8 Jahren. Der Schrei der Angegriffenen wurde erstickt  sowohl in den Medien als auch in den Gewissen vieler Menschen.

Und wenn die Politiker diesen Hilfeschrei doch gehört haben, haben sie ihn oft falsch gedeutet und dementsprechend ohne spürbares Ergebnis reagiert. Man denke nur daran, dass man fast 8 Jahre gebraucht hat, um den Krieg und dessen Urheber beim Namen zu nennen und konkrete Schritte zu wagen, um das Leiden und das Unrecht, das einem europäischen Volk angetan wird, aufzuhalten.

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Für so viele unserer Landsleute kommen diese Maßnahmen leider zu spät. Über 14.000 Ukrainer sind inzwischen Opfer der russischen Aggression geworden und haben ihr Leben in diesem Krieg verloren. 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge mussten ihre Häuser verlassen und sich auf den Weg durch die ganze Ukraine machen. Viele von ihnen sind auch weiter nach Westeuropa gezogen. Etwa 400.000 leiden infolge der erlebten Schrecken und Grausamkeiten unter posttraumatischen Störungen. Über 30.000 sind schwer verletzt und werden den Rest ihres Lebens als Invaliden verbringen  junge Menschen, Söhne und Töchter, Familienväter und Familienmütter, die an die Front gegangen sind, um ihr Vaterland, ihre Familien und Nachbarn gegen die Gewalt und den Hass des Aggressors zu verteidigen.

Ich erinnere mich an Briefe, die Kinder aus einem kleinen Dorf im Osten der Ukraine, etwa 6 km von der Pufferzone entfernt, vor einigen Jahren an den Hl. Nikolaus geschrieben haben. Man kann diese Briefe kaum lesen, ohne dass einem die Tränen kommen: Hl. Nikolaus, ich bitte dich: Mach, dass meine Mutter/mein Vater zu Weihnachten von der Front nach Hause kommt! oder: Hl. Nikolaus, bitte schenke uns den Frieden, mach‘, dass dieser Krieg zu Ende geht… Einmal hat die Lehrerin die Kinder gefragt, wovon sie träumen. Die Antwort war erschütternd: „Frau Lehrerin, wir haben keine Träume mehr. Wie können wir von etwas träumen, wenn um uns herum Krieg ist?“ Es ist ein schreckliches Verbrechen, wenn man die Kinder ihrer Träume beraubt, wenn man den Erwachsenen ihre Hoffnungen auf ein besseres und würdigeres Leben nimmt und einem gesamten Volk seine Zukunft und selbst seine Existenz versagt.

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Diese Kinder, ihre Eltern, Lehrerinnen und Verwandten müssen in den letzten Tagen erneut schreckliche Stunden durchleben, als sich die Eskalation zuspitzte und ihre Gegend mit schweren Waffen beschossen wurde. Heute sind sie hier in unserer Mitte anwesend  und zwar in dieser Fahne, die sie mir vor Kurzem geschenkt haben mit ihren auf die Herzen geschriebenen Namen.

Ihr SOS, ebenso wie der Hilfeschrei der Millionen Ukrainer, darf nicht im Nichts verhallen, sondern muss ein Echo in unseren Herzen finden und in den Herzen und Taten derjenigen, die in den Völkern Verantwortung tragen und das Notwendige tun können und sollen, um den Frieden in unserem Land und dadurch in ganz Europa wiederherzustellen.

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Darauf hoffen wir, dafür beten wir heute!

Maria, Königin des Friedens und Mutter der Barmherzigkeit, erhöre das Flehen Deiner Kinder in Bedrängnis und die Gebete der hier versammelten Gemeinde! Gewähre uns allen Gottes Frieden, Heil und Segen!

+ Bohdan Dzyurakh,
Apostolischer Exarch